Symbolic Computation
Ein neuer Lehrstuhl?
Nicht ganz. Seit Oktober 2007 heißt der Lehrstuhl für Mathematik mit dem Schwerpunkt Algebra jetzt Lehrstuhl für Mathematik mit dem Schwerpunkt Symbolic Computation.
Symbolic Computation - was ist denn das schon wieder?
Das kennen Sie eigentlich bereits aus der Schule, nur heißt es dort „Rechnen mit Buchstaben“, also zum Beispiel Formeln wie (x+y) · (x-y) = x2 - y2. Natürlich lassen wir hier an der Universität den Computer für uns rechnen.
Und wozu soll das gut sein?
Symbolic Computation hat viele Anwendungen, innerhalb und außerhalb der Mathematik. Häufig lassen sich in Naturwissenschaft und Technik die betrachteten Vorgänge durch Polynomgleichungen beschreiben. Eine der wichtigsten Anwendungen symbolischer Berechnungen ist das Lösen algebraischer Gleichungssysteme, d.h. von Gleichungssystemen der Form
f1 (x1, ..., xn) = 0
f2 (x1, ..., xn) = 0
…
fs (x1, ..., xn) = 0
mit Polynomen f1, ..., fs in den n Unbestimmten x1, ..., xn.
Bestimmung dieser Lösungen mit numerischen Methoden möglich?
Das kann man manchmal gar nicht. Denken Sie zum Beispiel an einen Ingenieur, der ein Maschinenteil entwerfen muss. Er möchte gewisse Designparameter unbestimmt lassen, seine Gleichungen in Abhängigkeit von den Parametern lösen und diese dann so wählen, dass die Lösung schöne Zusatzeigenschaften besitzt. Oder betrachten Sie die Gleichungssysteme in der algebraischen Kryptographie, die wir weiter unten besprechen. Bei denen sucht man die Lösungen in so genannten endlichen Körpern, wo es keine Näherungswerte gibt.
Was? Endlicher Körper? Sind nicht alle Körper endlich? Meiner auf jeden Fall schon.
In der Mathematik versteht man unter einem Körper einen Zahlbereich, in dem die vier Grundrechenarten existieren und die üblichen Rechenregeln gelten. Ein endlicher Körper wäre zum Beispiel die Menge F2 = {0,1} versehen mit der Arithmetik modulo 2, die in der Informatik eine große Rolle spielt. Die rationalen Zahlen und die reellen Zahlen bilden unendliche Körper.
Und in solchen Körpern rechnen Sie herum?
Nicht wirklich. Wir verwenden die Körperelemente nur als Koeffizienten für Polynome, denen unsere eigentliches Interesse gilt. Denn mit Polynomen und Polynomidealen kann man in viel allgemeineren Zahlbereichen, sogenannten Ringen, Moduln und Algebren, explizite Berechnungen durchführen.
Ist eine Implementierung in die Praxis denn möglich?
All dies sind doch wieder nur fantastische Theorien von Elfenbeinturm-Mathematikern. Wenn man diese Methoden in der Praxis implementieren würde, wären sie bestimmt unbrauchbar.
Ganz und gar nicht. Alle Algorithmen werden von den Studenten und Mitarbeitern am Lehrstuhl im Computeralgebrasystem ApCoCoA (das bedeutet „Applied Computations in Commutative Algebra“) implementiert und für konkrete Industrieprojekte verwendet.
Aha. Und ich dachte, dies wäre ein Lehrstuhl für reine Mathematik.
Auch reine Mathematik kann anwendungsorientiert sein. Eines unserer Hauptforschungsgebiete ist zum Beispiel die Theorie der Randbasen. Sie stellen eine Verbesserung der bekannten Gröbner- Basen dar, welche ja im Zentrum fast jeder symbolischen Computerberechnung stehen. Randbasen sind für Anwendungen aber noch geeigneter als Gröbner-Basen: sie erhalten die in der Problemstellung vorhandenen Symmetrien besser und sind numerisch stabiler, d.h. weniger anfällig für Störungen der Ausgangsdaten.
Können die Ausgangsdaten auch echte Messdaten für industrielle Anwendungen sein?
Durch die gestiegene Leistungsfähigkeit der Computer und unserer Algorithmen ist dies tatsächlich möglich. Das größte diesbezügliche Projekt am Lehrstuhl hat den bezeichnenden Namen Algebraisches Erdöl.